Eye Tracking – Grundlagen

Eye-Tracking wird verwendet, um die Blickrichtung von Personen zu ermitteln und Beobachtungen anzustellen, wohin die Aufmerksamkeit gestreut wird. Es ist ein sogenanntes implizites Verfahren, welches den Forschern die Möglichkeit gibt, die Perspektive der Probanden einzunehmen und in hoher Präzision zu messen. Dadurch lassen sich Beobachtungen anstellen, die den Probanden selbst nicht bewusst sind. Wer weiß schon nach dem Ende eines Tests, wie viele Millisekunden genau er das Logo auf einer Werbetafel betrachtet hat und in welcher Reihenfolge die einzelnen Elemente auf einer Webseite gesehen wurden? Eye-Tracking ist deshalb in der Lage selbst für den Probanden unbewusste Verhaltensweisen aufzudecken und Rückschlüsse auf kognitive Prozesse bilden, die durch eine einfache, explizite Befragung nicht möglich wären.

Inhalt
Fixationen und Sakkaden
Die Eye-Mind Assumption
Analyse von Fixationen in der Werbeindustrie
Zusammenfassung
Kleiner Exkurs: Das Fell des Tigers.

Fixationen und Sakkaden

Die meisten Blickaufzeichnungsstudien zielen darauf ab, bestimmte Verhaltensweisen der visuellen Wahrnehmung während einer Aufgabe zu messen. Die Aufgaben reichen dabei von eher leichteren Tätigkeiten wie Lesen, Suchen, Beobachten (Scanning) von Bildern, Anschauen von Videos, bis hin zu komplexen Aufgaben wie ein simulierter Einkauf auf einem Onlineshop (Use Case). Für gewöhnlich werden zwei verschiedene Augenbewegungen unterschieden: Fixationen und Sakkaden. Um die beiden Begriffe zu erklären, müssen wir uns zunächst das menschliche Auge und seine Funktionsweise näher betrachten.

Das menschliche Auge. Fixierte Objekte nimmt die Fovea scharf auf. Umliegende Lichtstrahlen, die auf der benachbarten Netzhaut laden, nehmen wir als unscharfes „foveale Sehen“ war.

Der Mensch ist nicht in der Lage, sein gesamtes Umfeld scharf zu sehen, weil nur ein kleinerer Bereich auf unserer Netzhaut, die Fovea Centralis, geeignete Photorezeptoren in ausreichender Zahl besitzt. Unser Auge funktioniert eher wie ein Brennglas mit einer Linse, dass nur den Bereich (Fovea) auf der Netzhaut (Retina) scharf sehen kann. Ganz im Gegenteil zu einer Kamera, wo der Rand als auch die Mitte gleichermaßen hochauflösend sein können (Nielsen & Pierce; 2010). Und doch verfügen wir um einen erweiterten Sichtbereich und nehmen unsere Umwelt nicht eingeschränkt wie aus einem Teleskop war. Das liegt daran, dass der Mensch über eine erweiterte Netzhautperipherie verfügt, die 80% weniger scharf ist, aber für unsere Wahrnehmung noch ausreichend gut funktioniert. Warum sehen wir nicht gesamte Welt nicht komplett scharf? Die Antwort ist recht einfach: weil wir es nicht müssen.

Die Fixation ist auf den Kopf der Freiheitsstatue gerichtet.

Unser Auge hat die Fähigkeit entwickelt, blitzschnell die Objekte zu erfassen, die für uns interessant sind. Unser Blick wander ständig hin und her, verbleibt bei einem Element und wandert weiter. So erhalten wir die Illusion, die gesamte für uns relevante Umwelt hoch detailliert sehen zu können. Beim Beobachten eines Elementes fixieren wir den Blick, damit ihn unser Auge scharf stellen kann und genau dieser Prozess wird foveales Sehen oder eben als kleinste Einheit Fixation genannt. Sakkaden sind Augenbewegungen zwischen einzelnen Fixationen. Fixation meint einen Stillstand des Auges und die Sakkade die Bewegung. Wie im Bild unten, die Punkte zeigen Fixationen und die Linien Sakkaden. Unser Blick wandert am Bild entlang, bis wir die Eule entdecken, die länger betrachtet wird.

Der Verlauf der Fixationen und Sakkaden.
Das Bild fasst den Verlauf hin zur Eule zusammen. Mehrere Fixationen und Sakkaden schafft das Auge nicht auf einmal.

Im Detail wandert der Blick von einer Fixation zur Nächsten, stets der Sakkade entlang. Erweckt ein Objekt unsere Aufmerksamkeit, fokussieren wir es und die Fixation dauert länger. Das menschliche Auge kann dabei nur eine Fixation gleichzeitig haben, weshalb der untere Kreis die vorherige, die Linie die Länge und Richtung zur nächsten Fixation zeigt. Das foveale Sehen umfasst einen Radius von ca. 1 Grad von dem gesamten Blickfeld, das ca. 160 Grad breit ist (Leven; 1991). Das restliche Blickfeld wird durch das periphere Sehen wahrgenommen. Wie bereits oben erwähnt, hilft es uns trotz der geminderten Qualität, unser Umfeld wahrzunehmen. Durch die Peripherie erhalten wir einen Gesamteindruck und erkennen auch unbewusst starke Kontraste oder sich bewegende Objekte, auf die wir die nächste Fixierung richten werden. Peripheres Sehen dient quasi zum Ermitteln eines Gesamteindrucks und der Vorbereitung des fovealen Sehens.  Die Wahrnehmung läuft dann wie folgt ab: Wir schauen uns ein Element nach einander mit vielen Fixationen an, die zu einem mentalen Abbild zusammengesetzt werden. Je komplizierter oder interessanter ein Objekt ist, desto länger werden wir es beobachten. Das bedeutet, die Fixation dauert länger.

Das menschliche Auge verfügt über eine dritte Blickbewegung, die Smooth persuit genannt wird, sprich „das sanfte Verfolgen“. Dieser Blickmodus ist aktiv, wenn wir an der Straßenkreuzung fahrende Autos anschauen oder aus dem Zug auf die vorbeiziehenden Bäume schauen. Wir blicken auf sich bewegende Objekte, die scharf gesehen werden. Smooth Persuit funktioniert in der Regel bis zu einer Geschwindigkeit von 30 Grad pro Sekunde. Bei schnelleren Objekten nutzen wir Sakkaden. Manche Personen schaffen auch Geschwindigkeiten von bis zu 100 Grad pro Sekunde und ich kann mir gut vorstellen, dass ein Torhüter im Fußball überdurchschnittlich gut schnelle bewegende Objekte verfolgen kann, was hilft, um die Flugbahn von Bällen besser einschätzen zu können.

Die Eye-Mind Assumption

Eine der wichtigsten Annahmen im Eye-Tracking ist, dass Fixationen offenbaren, womit sich eine Person kognitiv auseinandersetzt (Yarbus;1967). Zweitens hängt die Dauer der Fixation ebenfalls mit der Dauer der kognitiven Beschäftigungen zusammen (Joos et al.;2003). Die Theorie, dass Blickaufzeichnungen mit mentalen Prozessen im Gehirn wird in der Forschung als Eye-Mind Assumption bezeichnet. Fixationen  zeigen uns jedoch nicht stets das Ziel unserer Gedanken. Spätestens wenn wir in einem Tagtraum in die Ferne starren, verliert sie ihre Gültigkeit. Festhalten lässt sich, dass für einen Großteil der Fixationen der Eye-Mind Assumption gilt, vor allem in Testsituationen im Labor, wenn davon ausgegangen wird, dass sich eine Probandin sich auf eine Aufgabe konzentriert und nicht ablenkt ist.

Eine am meist verblendetsten Messgrößen für Eye-Tracking Experimente ist die Dauer einer Fixation – die Total Fixation Duration (TFD). Sie wird als Maß für das Interesse an festgelegten Objekten herangezogen. Gleichzeitig könnte die Dauer der Fixation eine Aussage über die Komplexität des Objektes treffen. Es gilt, dass implizite Messungen zunächst nur Daten aufzeichnen, die selbst unspezifisch, interpretationsoffen und der weniger objektiv, als sie es zu sein scheinen. Diese Problematik sollte sich jeder Forschende bewusst werden und in die Interpretation der Ergebnisse einfließen lassen.

Was bedeutet eine lange Betrachtungsdauer?
Interesse: „Je länger eine Person einen Stimulus beobachtet, desto größer ist das Interesse.“
Komplexität: „Je länger eine Person einen Stimulus beobachtet, desto größer ist die Komplexität.“

Analyse von Fixationen in der Werbeindustrie

Die Einsatzmöglichkeiten für Eye-Tracking Messungen sind vielfältig. Ein großer Zweig der Forschung liegt bei der Analyse von Werbemittel. Die Werbung verfolgt das Ziel, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dabei ist es dem Werbetreibenden Unternehmen wichtig, eine Werbebotschaft zu vermitteln. So wie in diesem Beispiel: Die Probandin zieht zunächst die obere Zeile und betrachtet den Mann in der Mitte, den Kasten Astra Bier und am Ende das Logo weiter unten.  Mit welchen Methoden Stimuli genau analysiert werden können, verraten dir die nächsten Kapitel im Bereich Eye-Tracking.

Fixationen und Sakkaden auf einem Werbeplakat. Die Nummern beschreiben die Reihenfolge.

Zusammenfassung

  • Während einer Fixation blicken wir auf ein Objekt, dass wir scharf sehen möchten. Sie können von 0,5 bis 6 Sekunden dauern, je nach Aufgabe oder Objekt.
  • Sakkaden entstehen bewusst und unbewusst und dauern zwischen 20 bis 40 Millisekunden und geben die Richtung und Distanz für die nächste Fixation an.
  • Smooth pursuit lässt uns bewegende Objekte bis zu einer Geschwindigkeit von bis zu 30°/Sekunde scharf sehen und lässt sich nicht bewusst erzwingen.
  • Die Eye Mind Assumption besagt, dass Fixationen Hinweise darüber geben, mit welchen Objekten eine Person sich kognitiv beschäftigt.

Kleiner Exkurs: Das Fell des Tigers

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Ein Tiger ist ein wunderschönes Tier. Ganz besonders ist sein charakteristisches Fell, das mit vielen Streifen durchsetzt ist. Doch warum hat er diese Musterung überhaupt? Im Naturreich geht es häufig um das sehen und gesehen werden oder eben nicht gesehen zu werden. Die Beute eines Tigers sieht einen Großteil seiner Umgebung aus der Peripherie heraus und kann, wie der Mensch, nur einen kleinen Ausschnitt tatsächlich scharf sehen. Starke Kontraste, Bewegungen, Unterschiede in der Landschaft, Umrisse lassen sich auch in der Peripherie ausreichend gut erkennen und Gefahren erspähen. Die Musterung des Tigerfells hilft dem Jäger, sich anzuschleichen und die Peripheriesicht seiner Beute auszutricksen. Die Streifen durchbrechen seine Umrisse und lassen ihn mit seiner Umwelt verschmelzen. Wenn die foveale Sicht den Tiger erreicht, ist eine Flucht zu spät.

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